Deutsche Segelflugmeisterschaft in Lüsse - Hochtaunuskreis stellte vier Piloten

Unter den etwa 120 Teilnehmern der Deutschen Segelflugmeisterschaft der 15m-, 18m- und Offenen Klasse in Lüsse waren auch vier Hochtaunuskreisler: Swaantje Geyer, Bad Nauheim, ASH 25E Wettbewerbskennzeichen "P", Dirk Oelgemöller, Riedelbach, Ventus 2b "YA", Gerd Spiegelberg, Antares 18S "37" und Burkhard Müller, ASW 27 "27", beide LSC Bad Homburg. Die "YA" und "27" traten in der 15m-Klasse an, in der die Spannweite auf 15m und die Abflugmasse auf 525 kg begrenzt sind. "37" flog in der 18m-Klasse, Spannweite maximal 18m, Abflugmasse maximal 600 kg.

"P" in der Offenen Klasse flog gemeinsam mit ein- und doppelsitzigen Segelflugzeugen mit Spannweiten zwischen 25m und 30m bei maximal 850 kg Abflugmasse. Alle Segelflugzeuge konnten zur Verbesserung der Schnellflugeigenschaften bei gutem Wetter Wasserballast mitnehmen und sind mit einem GPS-Logger ausgerüstet, der den Flugweg aufzeichnet und die Auswertung der Flugzeit über die vorgegebene Strecke ermöglicht. Schließlich handelt es sich um Luftrennen, bei denen der Schnellste gewinnt; nur wenn die Aufgabe nicht geschafft wird, wird die Strecke gewertet. Es gibt täglich maximal 1000 Punkte zu gewinnen, davon sind 2/3 Geschwindigkeits- und 1/3 Streckenpunkte.
Gemäß Reglement starten die drei Klassen nacheinander, die kleinen Segelflugzeuge durch Schlepp eines Motorflugzeuges, die großen meist mit Hilfe ihrer Klapptriebwerke, die in 600m Höhe eingefahren und für den Rest des Fluges nicht genutzt werden dürfen. Jeweils 20 Minuten nach Start des letzten Segelflugzeuges seiner Klasse wird die Startlinie für zwei Stunden geöffnet. Die Wertungszeit beginnt, wenn die virtuelle Startlinie überflogen wird, was der GPS-Logger exakt aufzeichnet; die Wertungszeit endet mit Überflug der Ziellinie, vorausgesetzt, alle Wendepunkte wurden korrekt umrundet, was ebenfalls der Flugschreiber aufzeichnet. Die Auswertung erfolgte automatisch mit dem Auswertungsprogramm "ScoringStrePla", einer Entwicklung von zwei Segelfliegern aus Bad Homburg und Riedelbach, Wolfgang Joschko und Klaus Langelüdecke, das sich als internationaler Auswertungsstandard etabliert hat. So sind die Ergebnisse binnen weniger Minuten nach der Landung verfügbar. Nur bei Protest oder Zweifeln wird eine manuelle Kontrolle erforderlich.
Auf dem riesigen, perfekt für einen derartigen Wettbewerb hergerichteten Segelflugleistungszentrum Lüsse südwestlich Berlins, fanden vom 1. bis 13. Juli die Deutschen Meisterschaften statt. Der 1. Juli war als Pflichttrainingstag angesetzt. Bei einer Schauerwetterlage konnten bei diesem Pflichttraining alle ihre Systeme checken, sich mit der Luftraumsituation in unmittelbarter Nähe zum Berliner Luftraum Charlie vertraut machen, die Konkurrenz sichten und die Übermittlung der Flugdokumentation nach dem Flug an die Wettbewerbsauswerter üben. Niemand vollendete die angesetzte Aufgabe wetterbedingt. Das hereinziehende Schlechtwettergebiet hielt die Segelflieger dann auch die kommenden drei Tage am Boden.
Erster Wertungstag war der 5. Juli und dann konnte an acht aufeinanderfolgenden Tagen geflogen werden. Die Tagesaufgaben erstreckten sich auf Wertungsdistanzen zwischen 250 und 560 km im Luftraum zwischen Magdeburg und Westpolen, Mecklenburg und Erzgebirge mit zwei bis vier Wendepunkten und Rückkehr zum Flugplatz Lüsse. Die Wetterprognosen des ehemals beim DWD in Offenbach tätigen Wettermans, Erland Lorenzen, Mitlied und Fluglehrer im LSC Bad Homburg, waren von nahezu unglaublicher Präzision und sorten sowohl für tolle Flüge als auch bei der Abschlußfeier für stehende Ovationen.
Nach dem Briefing, das täglich um 09:30 Uhr stattfand, gingen die drei Wettbewerbsklassen zum Start. Jeweils 6 bis 8 Segelflugzeuge standen parallel und konnten so raschestmöglich in die Luft kommen. Der Start aller 120 Segelflugzeuge dauerte daher nur zwischen 60 und 75 Minuten. Beim Briefing werden die Sieger des Vortages gekürt, das Wetter und die zu erwartenden Aufwindstärken im Wettbewerbsraum eingehend erklärt und die Aufgaben für die drei Klassen vorgestellt. Startbereitschaft ist üblicherweise etwa eine Stunde nach Briefingende. Bis dahin müssen die Flugzeuge gewogen, in Startposition gebracht, die Flugdatenschreiber programmiert, die Navigation verinnerlicht werden. Auch die persönlichen Belange der Piloten haben ihren Raum, schließlich gilt es, die drei bis sechs Stunden Wettkampfzeit in körperlicher und geistiger Fitness zu bestehen.
Die Wettbewerbsflüge selbst lassen sich in drei Phasen aufteilen: Das Vorbereiten das optimalen Abflugs, üblicherweise im Gedränge mit 10 bis 30 Segelflugzeugen in Umgebung der Startlinie. Hier gilt es, gute Nerven zu behalten und sich trotz der hohen Flugzeugdichte nicht von seinem strategischen Plan, dem Suchen nach der "besten Spur", der "tragenden Linie" abbringen zu lassen. In Phase 2 "En Route" müssen dann rasch gute Entscheidungen gefällt und die Aufwinde, alleinstehend oder aufgereiht, optimal genutzt werden. Bei Reisegeschwindigkeiten von über 100km/h bedeuten drei Kreise in ungünstiger Luft bereits 1km/h oder 2 Minuten Rückstand und bei der hohen Leistungsdichte des Pilotenfeldes den Verlust von drei bis fünf Plätzen - Fehler machen gilt es also zu vermeiden. Zu vorsichtiges Fliegen bringt aber nicht die gewünschte hohe Reisegeschwindigkeit - ein Ritt auf Messers Schneide. Phase 3 ist der Endanflug. In 30 bis 70 km Entfernung vor der Ziellinie wird der letzte Aufwind auf 1200 bis 2000m Höhe "ausgekurbelt" und dann mit etwa 200m Sicherheit der Endanflug angesetzt. Gegen Abend sind unterhalb 500m Höhe keine Aufwinde mehr zu erwarten; wer dann schon seine Sicherheitshöhe anknabbern muss, sitzt mit blanken Nerven im Cockpit - denn auch 10m vor der Ziellinie landen bedeutet den Verzicht auf die wichtige Geschwindigkeitswertung. Wer die Segelflugzeuge mit großer Geschwindigkeit die Ziellinie souverän überfliegen und anschließend sicher landen sieht, kann sich zumindest als Laie nicht vorstellen, dass wenige Minuten zuvor der Flug womöglich noch auf der Kippe stand.
Aus dem Cockpit steigen dann ganz normale Menschen, braungebrannt und zumeist in Jeans und Sportshirt - keine schicken Superhelden in feuerfesten Overalls wie bei Formel 1. Dass sie genauso gekämpft, taktiert und gepokert haben, dass sie kritische Situationen durchlebt und knifflige Entscheidungen allein ohne Teamorder und Telemetrie getroffen haben, sieht man ihnen nicht an und ahnt man bei diesem stillen Sport, bei dem Anhalten und Luft holen nicht möglich ist, nicht. Segelflieger sind zumeist zurückhaltende Typen, die den Rummel eher scheuen, denen Superman-Allüren und Jetset-Gehabe fremd ist - die sich aber gleichwohl auf höchstem sportlichen Niveau bewegen. Mit einem weiteren großen Unterschied: Sie können von ihrem Sport nicht leben. Die Magnumflasche Champagner heißt "Kasten Freibier", wird innerlich, nicht äußerlich angewandt und kommt auch den Kameraden zugute, denn ohne diese ließe sich der Segelflugsport nicht betreiben. Die vielen ehrenamtlichen Helfer der Piloten und der Wettbewerbsorganisatoren stehen im Hintergrund; ihr Lohn ist ein zufriedener Pilot oder die etwas gestärkte Vereinskasse und vielleicht die lobende Erwähnung in einem Artikel wie diesem.
Die vier Hochtaunuspiloten konnten gegen superstarke Konkurrenz keine vorderen Plätze belegen und mußten sich mit dem olympischen Motto "Dabeisein ist alles" begnügen. In der 15m-Klasse traten vier Deutsche, zwei italienische und zwei französische Mitglieder der jeweiligen Nationalmannschaften an, in der Offenen Klasse der dreimalige Weltmeister sowie Nationalmannschaftsglieder aus Frankreich, Tschechien, Belgien und Slovenien. Allein das Absolvieren der anspruchsvollen Aufgabenstellungen gemeinsam mit derartigen Top-Piloten zeigt, dass auch die Piloten des Hochtaunuskreises zu sehr guten Leistungen fähig sind. Im Rahmen der Qualifikationswettbewerbe zur Deutschen Meisterschaft 2013 werden sie im kommenden Jahr wieder an den Start gehen. Bis dahin tragen sie ihre Langstreckenmeisterschaft im Rahmen der ganzjährigen Deutschen Meisterschaft im Streckensegelflug aus.
Für Interessierte: Die Wertungen sind im Internet unter http://dm2011luesse.fccberlin.de/, http://www.strepla.de/scs bzw. http://www.onlinecontest.org zu finden, die Piloten trifft man wochenends auf den Flugplätzen Bad Nauheim, Riedelbach und Neu Anspach.

Fotograf:

Ulrich Prigge
Asternstrasse 35
30167 HANNOVER

0172-5138643
prigge@his.de

Zurück zum Blog